Albert Anker
Schreibunterricht II, 1865
Es gibt insgesamt drei Versionen dieses Motivs. Das vorliegende wurde von Albert Anker im Jahr 1866 am Pariser Salon eingereicht, wofür er die Goldmedaille als höchste Ehrung erhielt. Es zeigt zwei kleine Mädchen, die sich emsig über ein Blatt Papier beugen, auf dem eines der Mädchen mit Feder und Tinte schreibt. Beide tragen schöne gemusterte Kleider und eine Schürze. Ihre konzentrierten Gesichter sind von vorne erhellt, während der Hintergrund im Dunkeln verschwindet und keine Rückschlüsse über den Standort zulässt. Als Anker das Gemälde malte, war das Recht auf Schulunterricht für Mädchen in Bern erst dreissig Jahre in der Kantonalen Verfassung verankert und nach wie vor umstritten. Daraus lässt sich ersehen, weshalb der Holzstich, der von der ersten Fassung von der Firma Buri & Jeker für die Zeitschrift Die illustrierte Schweiz produziert wurde (am 29. Juli 1871, S. 56) den Titel Die kleinen Blaustrümpfe trug. «Blaustrümpfe» war in Europa seit Mitte des 18. Jahrhunderts das abwertende Schimpfwort für intellektuell gebildete Frauen, welche – so die Befürchtung – für Bildung ihre weiblichen Eigenschaften vernachlässigten. Während des 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert wurden verzerrende Darstellungen – u.a. von Honoré Daumier – von gebildeten Frauen als rechthaberische, streitsüchtige, intellektuelle «Mannweiber» verbreitet.