Albert Anker
Strickendes Mädchen, 1884
Hohe malerische Qualität und eine anmutige Komposition zeichnen das Gemälde mit dem strickenden Mädchen aus. Es wird im Profil wiedergegeben und trägt ein Kleid mit gestreifter Schürze sowie ein buntes Halstuch. Die blonden geflochtenen Haare und das konzentrierte Gesicht kontrastieren mit dem dunklen Hintergrund. Ganz in die Handarbeit versunken, widmet sich das junge Mädchen seiner Aufgabe. Ihre Finger halten in virtuoser Leichtigkeit die Stricknadeln und das helle Garn. Anker ergänzt die Szenerie mit zwei Stillebenmotiven im Vordergrund. Der Apfel sowie die Notizbücher schaffen kompositorische Tiefenwirkung und ein erzählerisches Moment. Immer wieder hat Anker strickende und stickende Mädchen dargestellt. Doch war das eigentliche Thema nicht das Stricken, sondern der psychische Vorgang, die Konzentration der Dargestellten auf ihre Tätigkeit. Ankers Gemälde basiert auf genauer Beobachtung. Seine Strickende posierte nicht. Dennoch kommt in dem Bild auch ihre geschlechtsspezifische Ausbildung zur Hausfrau zum Ausdruck. Zwar erhielten auch Mädchen mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht ab 1830 das Recht auf vier bis sechs Jahre Unterricht in den Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen. Doch etablierte sich mit dem Handarbeitsunterricht nur für Mädchen sehr rasch ein nach Geschlechtern differenziertes Fächerangebot in der Volksschule. Von den höheren öffentlichen Schulen und den Gymnasien und damit von Fächern wie Physik, Chemie, Geometrie oder Latein blieben Mädchen lange ausgeschlossen.