Rineke Dijkstra (*1959)
4 - Coney Island, N.Y., USA, June 10, 1993, 1993
Fotografie (Farbe),
Kunstmuseum Bern

Schon in den Achtzigerjahren, als die 1959 in Sittard in den Niederlanden geborene Rineke Dijkstra nach erstem Unterricht am Amsterdams Centrum voor Fotografie, damals De Moor genannt, an einer Amsterdamer Kunsthochschule, der Gerrit Rietveld Academie, studierte, galt ihr Interesse dem Porträtieren von Menschen. Anfangs produzierte sie kommerzielle Auftragsfotografien von Schauspieler:innen, Schriftsteller:innen, Musiker:innen, Künstler:innen und Wissenschaftler:innen für Tageszeitungen und Magazine. Im Jahr 1990 kam sie durch einen Fahrradunfall und anschliessende Therapiestunden zur Erkenntnis, dass sie mit ihrer Arbeit einen Blick auf den tatsächlichen Menschen hinter der Fassade, hinter der Pose ermöglichen wolle. So unternahm sie den «erste[n] Versuch, ein ›natürliches‹ und realistisches Porträt zu machen». Nach einem anstrengenden Schwimmtraining machte sie von sich selbst in Badeanzug und Badehaube eine Aufnahme, die von ihrer Erschöpfung zeugt und somit frei von unnatürlicher Körperhaltung oder Mimik ist. Diese Fotografie aus einem Hallenbad signalisierte 1991 einen Neuanfang und war der Anstoss für eine Serie von Porträts, die in den folgenden Jahren bis 2002 im Freien entstanden sind. Hierfür fotografierte Dijkstra Jugendliche an verschiedenen Stränden in den Vereinigten Staaten, Grossbritannien, Belgien, Polen, Kroatien und der Ukraine.
In Badekleidung am Ufer stehend sind die Heranwachsenden in Frontalansicht vor Meer und Himmel abgebildet. Dabei liegt die gesamte Aufmerksamkeit auf dem fotografierten Menschen, nichts soll den Blick von seiner Präsenz ablenken. Der Hintergrund ist durch geringe Schärfentiefe so gestaltet, dass er nur als farbliches Rauschen wahrgenommen wird. Der Strand, das Meer und der Himmel werden zu schablonenhaften und austauschbaren Flächen, welche die Figur einrahmen. Indem die Jugendlichen zentral im Bild positioniert und leicht von unten aufgenommen sind, erscheinen sie monumental. Ihre eindringliche Präsenz wird durch einen niedrigen, meist unter Hüfthöhe gehaltenen Horizont zusätzlich verstärkt. Die Nahaufnahme lässt an den Figuren kleinste Details entdecken: lackierte Fingernägel, ein eingezogener Bauch, Kratzer, blaue Lippen oder Muttermale. «Ich merkte, dass man jemandem mit der Kamera sehr nahe kommen kann, so dass Dinge sichtbar werden, die man in Wirklichkeit nicht wahrnehmen würde.» Der Betrachter oder die Betrachterin kann nicht anders, als sich mit der abgebildeten Person zu konfrontieren und diese eindringlich zu studieren. [...]
Quelle: Kunstmuseum Bern. Meisterwerke, Hg. Matthias Frehner / Valentina Locatelli, München: Hirmer Verlag, 2016, Kat. Nr. 166, S. 380 (Autorin: Theresa Dann)
Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine von vier Fotografien von Dijkstra, die sich in der Sammlung des Kunstmuseum Bern befinden.