Augusto Giacometti (1877−1947)
13 - Regenbogen, 1916
Öl auf Leinwand,
Kunstmuseum Bern, Geschenk dreier Kunstfreunde

Das Gemälde, das Augusto Giacometti mit zwei kleinformatigen Pastellen vorbereitet hat, zeigt entlang seines unteren Randes eine graue, sich in der rechten Bildecke türmende Zone, die ein Felsenband markiert. Zwei hier sitzende, von olivgrünen Sträuchern flankierte Figuren in Rückenansicht beziehen die Betrachter:innen in ein hehres, sich vor ihnen abspielendes Naturschauspiel ein, womit Giacometti auf ein Motiv der deutschen Romantik zurückgreift. Der alles überspannende Regenbogen ist Gegenstand ihrer stillen Betrachtung. Die enorme Distanz zwischen dem staunenden Paar und der flüchtigen Naturerscheinung verleiht dem Raum kosmische Dimensionen. Die Farbe konzentriert sich auf das Prisma des Regenbogens; neben dem Blau und Grün bei Figuren und Vegetabilem bleibt alles andere, vor allem das weite, «leere» Feld der Bildmitte, einem Grau verhaftet, das Nebel und diesige Atmosphäre suggeriert. Im Spektrum zwischen christlicher Ikonografie, antiker Mythologie und romantischen Vorstellungen von Naturschönheit und Vergänglichkeit steht bei Giacometti das Motiv des Regenbogens als Metapher für die Suche nach einer Einheit von Gott und Kosmos. Der Regenbogen ist somit auch ein Symbol des Friedens. Er vermittelt als «Brücke zwischen Mensch und Gott bzw. zwischen Irdischem und Überirdischem» und ist «Bedeutungsträger für eine harmonisierte Welt […] pantheistischer Naturgläubigkeit».
Unter den von 1910 bis 1918 entstandenen Werken Giacomettis nimmt der Regenbogen deshalb eine Sonderstellung ein, weil er thematisch von den Bildnissen, chromatischen Fantasien und Landschaftsbildern dieser Jahre abweicht, wie sie etwa die Fantasie in Grün aus dem Jahr 1911 im Kunstmuseum Bern vertritt. Nur ausnahmsweise griff Giacometti mit dem Regenbogen nochmals auf jene symbolistischen Themen zurück, mit denen er sich von 1903 bis 1911 in Florenz intensiv auseinandergesetzt hatte, seltsamerweise 1916, bloss ein Jahr bevor er mit den Dadaisten in Zürich in Kontakt treten sollte und lediglich zwei Jahre vor seinem Übergang zu einer ungegenständlichen Malerei [...].
Quelle: Kunstmuseum Bern. Meisterwerke, Hg. Matthias Frehner / Valentina Locatelli, München: Hirmer Verlag, 2016, Kat. Nr. 104, S. 244 (Autor: Beat Stutzer)