Tracey Rose
PIG (1999)
Der Titel dieses Gemäldes ist dem Text entnommen, der auf der Leinwand geschrieben steht und sich wie ein Auszug aus einem Tagebuch liest. Darin äussert eine Person ihre Abscheu beim Anblick eines Schweinekopfs, der auf der Küchentheke fertig zum Verzehr angerichtet ist. Rote Farbkleckse auf der Leinwandfläche wirken wie verspritztes Blut. Die Textfarbe, anfangs rosa, die Farbe von Schweinehaut suggerierend, geht im weiteren Verlauf in Schwarz über. Der Ausdruck ‚pig’ (Schwein) gilt gemeinhin als Beleidigung: Er wird zumeist auf Männer angewendet, die in der Öffentlichkeit durch ihr skrupelloses oder anstössiges Benehmen auffallen. Im Grossbritannien des 19. Jahrhunderts gehörte ‚pig‘ zum Gangsterjargon; Kleinkriminelle verunglimpften so die Gesetzeshüter, die den Gaunern und Taschendieben nachstellten.
In diversen amerikanischen Black Liberation-Bewegungen und der afrikanischen Diaspora steht ‚pig‘ für rassistische und gewalttätige Polizisten, Weisse, die vor allem Schwarze ins Visier nehmen. In Südafrika zur Zeit der Apartheid formten weisse Polizeibeamte Todesschwadronen, die der Staat einsetzte, um Demonstrant:innen zu töten und Anti-Apartheid-Aktivist:innen zu ermorden. Der organisierte Widerstand gegen die Polizei gründete in der Überzeugung, dass diese von rassistischen Regierungen missbraucht wurde, um Schwarze Aktivist:innen zu verhaften und zu foltern.
In der feministischen Bewegung der 1960er- und 1970er-Jahre diente der Begriff ‚chauvinist pig‘ (Chauvinistenschwein) zur Beschreibung von Männern, die frauenfeindlich auftraten und als Unterdrücker des weiblichen Geschlechts gebrandmarkt werden sollten. In PIG lenkt Rose unsere Aufmerksamkeit auf den Kampf, die patriarchalische Vormachtstellung Weisser in all ihren Ausprägungen niederzureissen.