Tracey Rose
The Kiss (2001)
Diese Fotografie entstand in der South African National Gallery. Sie zeigt zwei nackte Personen, die in einer Umarmung ineinander verschlungen sind, kurz vor einem intimen Kuss. Der Titel und die Komposition sind eine Anspielung auf Auguste Rodins Marmorskulptur Der Kuss, die der französische Bildhauer 1882 schuf. Im westlichen Kulturkreis als Erotiksymbol und Darstellung lustvoller Sinnlichkeit betrachtet, stellte Rodins Skulptur das religiös-konservative Empfinden seiner Zeit auf die Probe. Mit dem Mittel der Schwarzweissfotografie inszeniert Rose die in der Skulptur gezeigte Pose mit kritischem Blick neu. Sie setzt dabei den eigenen Körper ein, präsentiert sich zurückgelehnt auf dem Schoss eines auf einem Podest sitzenden Mannes und erzeugt so einen ausgeprägten Kontrast zwischen dem Hell und Dunkel ihrer Hauttöne.
Im Fokus stehen Fragen der Identität in Bezug auf Race und Gender, da beide Figuren innerhalb der historischen und soziopolitischen Landschaft Südafrikas komplexe und konträre Positionen repräsentieren. Die zeitgenössischen gesellschaftlichen Probleme, mit denen sich die Künstlerin hier auseinandersetzt, sind mit Aspekten wie Transnationalität sowie mit Beziehungen verbunden, die als ‚interracial’ identifiziert werden können und noch immer als Tabu gelten: Während Rose eine Frau mit deutschen sowie Khoikhoi-Wurzeln ist, die in der Fotografie allerdings als Weisse erscheint, handelt es sich bei dem Mann um den afroamerikanischen Galeristen Christian Haye. Eventuelle Spannungen, die aufgrund der in der Positionierung angedeuteten Machtverhältnisse des Paares vermutet werden könnten, werden durch das einvernehmliche Vergnügen konterkariert, das in ihren Gesichtsausdrücken zum Ausdruck kommt.
Das ein Jahr nach Beginn des neuen Millenniums entstandene Foto symbolisiert die friedliche und euphorische Zeit nach dem Übergang des Landes zur Demokratie. Rose konfrontiert uns mit einer radikal neuen Interpretation des Kanons der westlichen Kunstgeschichte und tritt in ihrer Darstellung der Liebenden für Diversität und Inklusion ein.