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Tracey Rose

Lucie’s Fur (2003)

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Der Titel dieser Serie hat einen doppeldeutigen Sinn, zum einen enthält er eine Anspielung auf Lucifer, den gefallenen Engel, der aus dem Himmel verbannt wurde, und zum anderen verweist er auf Lucy, den weiblichen Hominiden, der 1974 in Äthiopien gefunden wurde und inoffiziell auch «afrikanische Eva» genannt wird. Während der Ausgrabung wurde der Beatles-Song Lucy in the Sky with Diamonds gehört, was dem Fund seinen Namen gab. Lucy gilt als früheste Vorfahrin der menschlichen Spezies, sie ist geschätzte 3,2 Millionen Jahre alt. Das im Titel erwähnte ‚Fur‘ (Fell) bezieht sich auf Lucys Schambehaarung, unter der sich ihr Geburtskanal verbirgt, aus dem die Menschheit geboren wurde.

Lucie’s Fur Version 1:1:1 (2003)

Die fotografische Serie ist das erste Kapitel einer Neuschreibung der Schöpfungsgeschichte, die im ersten Buch der Bibel, der Genesis, erzählt wird, daher auch der Titel-Zusatz «Version 1.1.1». Mit Johannesburg als Schauplatz und aus einer queeren, multi-ethnischen afrikanischen Perspektive erzählt, entwickelt sich eine Foto-Oper, in der Roses Freunde und Vertrauten aus den Schwulenclubs der Stadt mitwirken.

Im Jahr 1497 segelte der portugiesische Entdecker Vasco da Gama an einer Küste entlang, die heute als KwaZulu-Natal bekannt ist. Da es der Weihnachtstag war, taufte er den Ort Natalia, was so viel wie Geburt bedeutet. Von dieser historischen Begebenheit ausgehend, entwickelte Rose eine alternative Erzählung der biblischen Themen mit dem Ziel, die Einseitigkeit der Darstellung in der biblischen Geschichte in Bezug auf Gender, Race und geopolitische Aspekte hervorzuheben. Sie stellt Überlegungen zur Idee einer «Wiederkunft» an, wie sie in da Gamas Namensgebung der Küste anklingt, und beginnt mit der Erforschung des Szenarios in der Fotografie Annunciation – Context. Das Motiv ist eine Strandszene im zeitgenössischen Durban, der grössten Stadt in Kwazulu-Natal, das mit seinem kommerzialisierten Glamour und den Jahrmarktsattraktionen für Touristen wohl schwerlich ein Ort ist, den sich der Messias für seine Wiederkehr auswählen würde.

Lucie’s Fur: The Prelude (2003)

Der Film spielt in einem neu gestalteten Garten Eden, als Auftakt zur Evolution der menschlichen Spezies. Gefilmt wurde auf Gran Canaria, in dem kleinen Dorf Teror, während einer Residency von Tracey Rose und einer Gruppe von Künstler:innen im Espacio C. Das Video zeigt Lucifer im Garten Eden, wie er seine Version der Ereignisse erzählt.

Die von der Künstlerin dargestellte Lucie taucht aus einer Höhle auf, mit einem Kopf in Form eines Penis kriecht sie wie eine Schlange auf dem Bauch über die Erde. Sie ist als nicht-binär (sowohl männlich als auch weiblich) dargestellt und erkundet das Terrain alsbald auf dem Rücken eines Esels. Das übertrieben geschminkte Gesicht lässt an einen mexikanischen Zuckerschädel denken, ein dekoratives Objekt, das dem menschlichen Schädel eines verwesten Leichnams nachgebildet ist. Es kommt zu einem Gespräch zwischen einem nicht namentlich genannten Interviewer (dem Ausstellungskurator Orlando Britto-Jinorio) und Lucie. Diese enthüllt, dass sie vom Himmel verbannt und auf die Erde gefallen – oder gestossen worden – sei, weil sie es gewagt habe, Gott infrage zu stellen. Des Weiteren behauptet Lucie, dass die in der Genesis erzählte Geschichte fiktiv sei und sie nicht der Bösewicht, sondern vielmehr ein Opfer sei. Der Film kombiniert in seinem satirischen, dramatisch inszenierten Stil wissenschaftliche Evolutionstheorie mit biblischer Geschichte zu einer queeren Neuinterpretation der Schöpfungsgeschichte und des Ursprungs der Menschheit.

Ein vergleichbarer Umgang mit der überlieferten Geschichte ist auch in den Arbeiten zu entdecken, mit denen die Serie weitergeht. Statt als blonde, blauäugige Männergestalt zurückzukehren, mutiert Jesus in La Messie (Der Messias) zu einer Schwarzen Lesbe aus Zululand. In Zulu ist ‚izulu‘ gleichbedeutend mit dem englischen ‚heaven‘ (dem Himmel im christlichen Sinn) oder ‚heavens‘ (die Sphäre jenseits der Erde). Auf einer anderen Fotografie, Adam & Yves, erscheinen zwei halbnackte Männer in einer Szene, die an den Garten Eden erinnert, nur sind die Protagonist:innen nicht Adam und Eva, sondern Adam und Yves.

Kommentar Tracey Rose (Englisch)

Zeitz Museum of Contemporary Art Africa (MOCAA) · Shooting Down Babylon - Stop 12 - Lucie’s Fur