Einführung
Chaïm Soutine (1893–1943) wächst in der Nähe von Minsk in einem tiefreligiösen jüdisch-orthodoxen Umfeld auf. Wie viele osteuropäische Künstler:innen mit ähnlichem Hintergrund verlässt er die Enge der Heimat und emigriert auf der Suche nach gesellschaftlicher Freiheit und künstlerischer Emanzipation in die Kunstmetropole Paris. Dort bleibt er ein scheuer Aussenseiter, der sich nur wenigen Menschen, etwa Amedeo Modigliani, anvertraut. Parallel zu avantgardistischen Strömungen wie dem Kubismus oder dem Surrealismus entwickelt Soutine eine eigenständige Kunst, in der ein hoher Grad an emotionaler Kraft spürbar wird.
Soutine bedient sich klassischer Bildgattungen und berühmter Vorbilder aus der europäischen Kunstgeschichte. Er malt stets nach der Natur, doch die Welt gerät unter seinem energiegeladenen Pinselstrich aus den Fugen. Der Künstler schafft eindringliche Porträts von Pagen und Köch:innen mit verzerrten Körpern und schiefen Gesichtern. Schwindelerregende Perspektiven kennzeichnen seine Landschaften, in denen Hügel wanken und Häuser tanzen. Seine Stillleben sind schonungslose Darstellungen von totem Schlachtvieh, die zu Sinnbildern für Schmerz und Tod werden. In Soutines Bildsprache hallt die emotionale Brüchigkeit seiner eigenen Existenz, aber auch das Lebensgefühl einer ganzen Epoche wider, die von Kriegen, sozialen Missständen und dem Widerstreit religiöser und politischer Weltanschauungen zerrissen ist. Bis heute berühren seine Werke, weil sie der existenziellen, verletzlichen Dimension des Daseins Ausdruck verleihen.
In der Nachkriegszeit entdeckt eine neue Generation von Künstler:innen Sountines kraftvolles Œuvre und erklärt ihn zu einem Visionär und Pionier der gestischen Malerei. Er wird zu einem Vorbild für Vertreter:innen des Abstrakten Expressionismus und der School of London und inspiriert bis heute figurative wie abstrakte Maler:innen.
Die in Kooperation mit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf und dem Louisiana Museum of Modern Art in Humlebæk organisierte Retrospektive umfasst rund sechzig Exponate aus allen Schaffensjahren des Künstlers. Den Schwerpunkt bilden Werke und Serien aus den 1920er-Jahren.
Die Anfänge in Paris
Nach seiner Ankunft 1913 in Paris lebt Soutine knapp zehn Jahre lang in äusserst ärmlichen Verhältnissen und fast ausschliesslich unter anderen Migrant:innen aus Osteuropa. Zunächst wohnt er in der Ateliersiedlung La Ruche in Montparnasse, wo er auf Künstler wie Marc Chagall, Jacques Lipchitz und Ossip Zadkine trifft, später dann in der Cité Falguière. Er freundet sich mit dem Italiener Amedeo Modigliani an, der ihm seinen Kunsthändler Léopold Zborowski vermittelt.
Die französische Kunstszene ist zu jener Zeit stark geprägt von zugewanderten Künstler:innen, zu denen auch Pablo Picasso, Max Ernst, Sonia Delaunay oder Piet Mondrian zählen. In Abgrenzung zu den einheimischen Künstler:innen der «École française» (Französischen Schule) wird für die heterogene Gruppe der ausländischen Kunst- und Kulturschaffenden der Begriff «École de Paris» (Pariser Schule) populär. Tatsächlich haben diese jedoch keinen einheitlichen Stil. Soutine entwickelt im Verlaufe der Jahre seine ganz eigene, expressive Bildsprache. Stets vom realen Gegenstand ausgehend widmet er sich den klassischen Gattungen Landschaft, Porträt und Stillleben.
Aus der Zeit von 1913 bis 1917 sind nur noch wenige Werke vorhanden, da Soutine viele Arbeiten der Frühphase zerstört hat. Zu den frühsten erhaltenen Gemälden zählen Stillleben von kargen Mahlzeiten in nüchternem Stil, Serien von Blumenarrangements, wenige Porträts, Stadtlandschaften aus Paris und erste Landschaften aus Südfrankreich.
Die Landschaften des Südens – Céret und Cagnes
1919 schickt der Kunsthändler Léopold Zborowski Soutine zum Malen nach Céret, einem legendären Ort in den französischen Pyrenäen nahe der spanischen Grenze. Dort hatten Künstler wie Henri Matisse oder Pablo Picasso ihre künstlerische Sprache gefunden, und auch Soutine durchläuft während drei einsamen Jahren eine bedeutende künstlerische Entwicklung.
Der Künstler studiert seine Umgebung und entwickelt eine Leidenschaft für die Pleinairmalerei. Er setzt sich Wind und Wetter aus, wartet stundenlang auf das richtige Licht und arbeitet bis zur Erschöpfung. Die Gemälde aus Céret zeichnen sich durch die Verdichtung des Bildraumes, kräftige Farben und heftige Pinselstriche aus. Die Landschaften scheinen unter der Energie des Malers zu bersten und ins Chaos zu stürzen. Wogende Häuserzeilen, einstürzende Dorfplätze und aufgewühlte Hügel erzeugen eine beunruhigende Wirkung. Viele Werke dieser sehr produktiven Phase zerstört der Künstler noch in Céret oder in späteren Jahren.
Im Anschluss hält sich Soutine zwischen 1923 und 1925 abwechselnd in Paris und Cagnes-sur-Mer an der Mittelmeerküste auf. In dieser sogenannten Cagnes-Phase wird seine Farbpalette heller und leuchtender, die Formen geschlossener und runder. Die Landschaften wirken weiter und durch kurvige Strassen oder Treppen, die ins Bild führen, zugänglicher. Sie zeichnen sich aber nach wie vor durch ihre Instabilität aus. Die einzelnen Elemente scheinen ein Eigenleben zu führen – sie winden, wölben, heben und senken sich.
Die Porträts – Bildnisse «kleiner» Leute
Soutine widmet sich von 1919 bis 1928 intensiv dem Genre der Bildnismalerei. Er porträtiert in erster Linie Menschen, die er nicht persönlich kennt. In Céret findet er seine Modelle in der Nachbarschaft und auf der Strasse. Der Durchbruch gelingt ihm 29-jährig mit dem Gemälde Le pâtissier (um 1919), welches der amerikanische Kunstsammler Albert C. Barnes im Winter 1922/23 entdeckt und zusammen mit weiteren 51 Werken kauft. Über Nacht wird der bis dahin nahezu unbekannte Künstler berühmt, seine finanzielle Situation verbessert sich auf einen Schlag.
Während im Genre der Porträtmalerei historisch gesehen lange nur die Oberschicht dargestellt wurde, setzt Soutine einfache Leute ins Bild, die wie er aus der unteren Gesellschaftsschicht stammen. Nach seinem kommerziellen Durchbruch zeigt sich sein neuer Lebensstil im veränderten Personal – es sind vermehrt Angestellte aus Hotels und Restaurants. Er schafft Serien von Kellnern und Pagen, die von seiner Vorliebe für Menschen in uniformer Berufskleidung zeugen.
Der Künstler setzt häufig dieselben Kompositionsschemen ein. Er rückt die Modelle formatfüllend als Halb- oder Dreiviertelfiguren in die Bildmitte. Sie posieren stehend oder auf einem Stuhl sitzend vor einem undefinierten Hintergrund – die Hände in den Schoss gelegt oder in die Hüften gestemmt. Die Körperproportionen geraten aus den Fugen, Ohren und Hände sind übergross, die Gliedmassen überdehnt. Die oft asymmetrischen Gesichter sind den Betrachter:innen zugewandt, aber die meisten Figuren wirken in sich gekehrt. Die expressive, teils karikaturhafte Überzeichnung hebt die individuellen Merkmale der Porträtierten hervor.
Anklänge I: Stillleben
Als Teil seiner Ausbildung an der Pariser École des Beaux-Arts von 1913–1915 und auch in späteren Jahren besucht Soutine regelmässig den Louvre und studiert die ältere Kunst – darunter Stillleben holländischer Meister des 17. Jahrhunderts. In seinen frühen Schaffensjahren malt er nebst Blumensträussen kärglich bestückte Küchenstillleben. Allmählich verzichtet er jedoch auf alles Anekdotische – Requisiten wie Möbel, Schüsseln und Besteck verschwinden. In den Brennpunkt rückt totes Schlachtvieh: Kopfüber hängendes Geflügel, Kaninchen und Rinder.
Soutine schafft Variationen über Jean Siméon Chardins (1699–1779) Stillleben mit Rochen oder Kaninchen, später zeugt seine Serie der Boeuf écorché vom Studium des Geschlachteten Ochsen des von ihm verehrten Rembrandt (1606–1669). Da Soutine nur vor dem realen Motiv arbeiten kann, stellt er die Arrangements in seinem Atelier nach. Unter seinem Pinsel lösen sich die Vorbilder in pure, heftige Malerei auf, in welcher der Todeskampf der Tiere anklingt.
Für Soutines intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Essen und dem Motiv der Schlachttiere können verschiedene Gründe vermutet werden: In seiner Kindheit lebt er gemäss den jüdischen Speisegesetzen und Riten und wird im Schtetl Zeuge von Schlachtungen. Seine erste Lebenshälfte ist durch Armut und Hunger geprägt. Die Thematik bleibt selbst nach Soutines kommerziellem Durchbruch aktuell: wegen eines Magenleidens muss er eine strenge Diät einhalten und auf üppige Mahlzeiten verzichten.
Anklänge II: Figurenmalerei
Die Beschäftigung mit Vorbildern aus der europäischen Kunstgeschichte wird auch in Soutines Figurenbildern fassbar. Die vom Künstler oft wiederholte Pose der frontal und aufrecht auf Stühlen thronenden Modelle mit ausladenden Schultern erinnert an Herrscherbildnisse wie das von Jean Fouquet (um 1420–1481) geschaffene Porträt Karls VII, das Soutine im Louvre gesehen hatte.
Zu den von Soutine verehrten und zitierten Künstlern gehört auch Gustave Courbet (1819–1877). So scheint der Chorknabe in Soutines Gemälde Le grand enfant de chœur (1925) wohl von dem im Vordergrund stehenden Messdiener in Courbets Gemälde Un enterrement à Ornans (1849–1850) inspiriert zu sein. Es ist Soutines erstes Werk einer ganzen Serie, in der er Chorknaben als Ganz-, Dreiviertel- oder Halbfiguren ausführt. Die Variationen sind ein weiteres Beispiel der seriellen Behandlung eines Themas und Soutines Interesse an Modellen, deren Kleidung ihre Funktion spiegelt.
Die Gewänder der Chorknaben und des Mädchens in La Communiante dürften den Künstler auch aufgrund ihres liturgischen Kontexts und insbesondere ihrer Farbigkeit fasziniert haben: Die Bedeutung, welche die Farbe Rot in seinem Schaffen einnimmt, wird bereits in den frühen Gladiolen-Stillleben deutlich und kommt in den blutigen Rinderkadavern und vielen Porträts zum Ausdruck. Mit Weiss in allen möglichen Schattierungen setzt er sich eingehend in der Serie der Konditoren auseinander. Die Kombination seiner zwei Lieblingsfarben Rot und Weiss im Gewand der Chorknaben erzeugt eine besondere Leuchtkraft. Davon kontrastreich abgesetzt ist der dunkle Hintergrund, der zusammen mit den unsicheren Blicken und überlangen Körpern eine unheilvolle Spannung erzeugt, die an die Bildwelt des Malers El Greco (um 1541–1614) erinnert.
Spätwerk und Nachleben
Die Porträts der späten 1920er- und der 1930er-Jahre zeichnen sich durch zunehmend passive Figuren aus. Die Gesichter und Gesten werden ruhiger und zurückhaltender, der Ausdruck von Resignation und Melancholie überwiegt. Die Hotelangestellten werden von Hausangestellten wie Zimmermädchen oder Köchinnen abgelöst. Es handelt sich um das Personal von Soutines Mäzenen, dem Ehepaar Madeleine und Marcellin Castaing, auf deren Landsitz in Lèves bei Chartres Soutine in den 1930er-Jahren mit Unterbrüchen lebt. Landschaften aus Civry, Auxerre, Champigny und Richelieu zeugen von den Landaufenthalten der folgenden Jahre.
Das sich verschlimmernde Magenleiden beeinträchtigt den Künstler allerdings zunehmend bei der Arbeit. Die Besetzung Frankreichs durch Nazideutschland ab dem Jahr 1940 und die darauffolgende Einführung antisemitischer Gesetze werden zur lebensgefährlichen Bedrohung. Soutine muss untertauchen und häufig die Unterkunft wechseln. 1943 stirbt er an einem nicht rechtzeitig behandelten Magendurchbruch.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Soutines Werk in Europa wie auch in den USA durch Ausstellungen vermehrt für die breite Öffentlichkeit zugänglich. Insbesondere dank einer Retrospektive im Museum of Modern Art in New York im Jahr 1950 entdeckt eine neue Generation von Künstler:innen Soutines Malerei. Es sind die Vertreter:innen des abstrakten Expressionismus, der Künstlergruppe CoBrA und der School of London, die Soutine als inspirierendes Vorbild wählen. Willem de Kooning (1904–1997), Jackson Pollock (1912–1956) und ganz besonders Francis Bacon (1909–1992) sind seine bekanntesten Verehrer.
Bis in die heutige Zeit stellt Soutine eine Schlüsselfigur für figurative wie abstrakte Maler:innen dar. Davon zeugt der zur Ausstellung produzierte Interviewfilm Chaïm Soutine. A World in Flux (Chaïm Soutine. Eine Welt im Fluss), in dem sieben zeitgenössische Künstler:innen von ihrer Faszination für Soutines Werk und seine Persönlichkeit erzählen: Leidy Churchman, Thomas Hirschhorn, Chantal Joffe, Imran Qureshi, Dana Schutz, Amy Sillman und Emma Talbot. Sehen Sie sich den Film im Untergeschoss des Museums (bis 3. November 2024) oder in unserem Digital Guide an.
Biografie
1893
Chaïm Soutine wird in Smilawitschy in der Nähe von Minsk im heutigen Belarus als zehntes von elf Kindern geboren. Smilawitschy ist ein «Schtetl» mit einer überwiegend jüdischen Bevölkerung. Soutine wächst in Armut in einem stark religiösen Umfeld auf. Seine Muttersprache ist Jiddisch. Soutines Vater ist Flickschuster und beabsichtigt, seinen Sohn ebenfalls in einem Handwerk auszubilden. Soutine aber beschliesst, sein Leben der Malerei zu widmen.
1903–1912
Soutine reist nach Minsk, um dort Zeichenkurse zu besuchen. 1910 zeichnet er ein Porträt eines orthodoxen Mannes und verstösst damit gegen das Bilderverbot des Judentums. Soutine wird von den Söhnen des Mannes schwer misshandelt, wofür seine Eltern eine Entschädigung erhalten, mit der sie seine Ausbildung an der Kunstschule in Vilnius finanzieren.
1913
Soutine unternimmt die mehrtägige Zugreise von Vilnius nach Paris, damals die Kunsthauptstadt Europas. Er lebt in der Ateliergemeinschaft La Ruche in Montparnasse.
Im Sommer schreibt er sich an der École des Beaux-Arts ein. Soutine ist beeindruckt von der Stadt und insbesondere von der Kunstsammlung des Louvre. Seine Anfänge in Paris sind von Hunger, Krankheit und völliger Mittellosigkeit geprägt.
1914–1915
Am 4. August 1914 bricht der Erste Weltkrieg aus. Als Immigrant wird Soutine nicht in die Armee eingezogen. Er meldet sich freiwillig, wird jedoch aufgrund einer Magenerkrankung abgelehnt.
Soutine zieht in die Künstlersiedlung Cité Falguière. Es entsteht eine enge Freundschaft mit dem italienischen Künstler Amedeo Modigliani (1884–1920), der ebenfalls in einer jüdischen Familie aufgewachsen ist.
1916–1918
Soutine malt vorwiegend Stilleben, von denen nur wenige erhalten sind. Modigliani überzeugt seinen Galeristen Léopold Zborowski einen Vertrag mit Soutine abzuschliessen. Für die Exklusivrechte an seinen Werken erhält Soutine ein bescheidenes Taggeld.
Im März 1918 wird Paris von deutschen Truppen bombardiert. Auf Drängen Zborowskis reisen Soutine und Modigliani in Richtung Süden nach Vence und Cagnes-sur-Mer an der Côte d’Azur.
1919
Zborowski schickt Soutine in die kleine Pyrenäenstadt Céret, wo er zahlreiche Landschaften und Porträts der Stadtbewohner:innen malt, darunter Le Pâtissier, mit dem ihm später der Durchbruch gelingt.
1920
Im Januar erhält Soutine in Südfrankreich die schockierende Nachricht von Modiglianis Tod.
Während eines Besuchs von Zborowski zündet Soutine mehrere seiner Werke an, weil sie ihm nicht mehr gefallen. Einige kann Zborowski retten.
1922
Ende des Jahres kehrt Soutine mit rund 200 Werken nach Paris zurück. Viele davon zerstört er in den folgenden Jahren.
Im Winter 1922/23 besucht der amerikanische Kunstsammler Albert C. Barnes Paris. Er ist auf der Suche nach Kunstwerken für eine Sammlung, die er in Philadelphia aufbauen will. Begeistert von Le Pâtissier kauft er dieses und 51 weitere Werke von Soutine zu einem Preis von 15 bis 30 Dollar pro Stück. Die Nachricht dieser ungewöhnlichen Erfolgsgeschichte verbreitet sich rasch in ganz Paris.
1923
Im Januar publiziert der französische Kunsthändler Paul Guillaume den ersten Artikel über Soutine in der Zeitschrift Les Arts à Paris.
Barnes organisiert eine Ausstellung von Soutine’s Arbeiten in Guillaumes Galerie und zeigt seine Ankäufe anschliessend in einer Ausstellung europäischer Kunst in Philadelphia.
Soutine verbringt einen Grossteil der nächsten zwei Jahre in Cagnes in Südfrankreich. Hier schafft er weitere Porträts von Konditoren und zahlreiche Landschaften. In einem Brief an Zborowski schreibt er, dass es ihm schlecht gehe und er in Cagnes einsam sei. Nach Paris kehrt er dennoch erst zwei Jahre später zurück.
1924
Die Ankäufe von Barnes lassen den Wert von Soutines Werken auf dem Kunstmarkt steigen, was ihm sowohl finanzielle Unabhängigkeit als auch künstlerische Anerkennung beschert.
Er beginnt seine Serie der Stillleben mit Rochen.
1925
Soutine bezieht eine eigene Wohnung in der Nähe der Rue du Saint-Gothard, wo sich sein grosses Atelier befindet. Von da an zieht er mehrmals pro Jahr um.
Mit Déborah Melnik, die er aus seinen Kunststudien in Vilnius kennt, bekommt er eine Tochter, Aimée. Er erkennt sie jedoch nie als sein Kind an.
Soutine reist nach Amsterdam, um Rembrandts Arbeiten im Rijksmuseum zu studieren. Er beginnt mit den Serien der Chorknaben, Pagen und geschlachteten Ochsen.
1926
Der polnische Kunstkritiker Waldemar George schreibt in der Zeitschrift L’Amour de l’art über Soutine. Dessen Bekanntheit wächst und seine Werke erzielen bei Auktionen hohe Preise.
Aufgrund seiner anhaltenden Magenprobleme besucht Soutine zwischen 1926 und 1928 regelmässig ein Heilbad in Châtel-Guyon in Auvergne. Hier lernt er die Innenarchitektin Madeleine Castaing und ihren Ehemann, den Kunstkritiker Marcellin, kennen. Es entwickelt sich eine enge Freundschaft und Soutine malt ein Porträt von ihr.
1927
Die Galerie Henri Bing in Paris richtet Soutine seine erste Einzelausstellung aus. Er fühlt sich unter Menschen unwohl und nimmt nicht an der Eröffnung teil.
Dank Barnes werden seine Arbeiten in Gruppenausstellungen in New York und anderen Städten in den USA gezeigt.
1928–1929
Waldemar George publiziert 1928 in der Serie Artistes juifs der Éditions Le Triangle in Paris die erste Monografie über Soutine. Im Jahr darauf erscheint die Monografie von Élie Faure.
1929 malt Soutine die Serie L’Arbre de Vence.
1930–1932
Die Weltwirtschaftskrise schwächt den Pariser Kunstmarkt. Zborowski kann Soutine nicht länger vertreten, worauf die Castaings Soutines Mäzene werden. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 verbringt er viel Zeit bei ihnen in Lèves in der Region Centre-Val de Loire.
Léopold Zborowski stirbt 1932. Seine Frau Anna verkauft seine gesamte Sammlung.
1935
Die erste umfassende Ausstellung von Soutine in den USA wird im Arts Club of Chicago gezeigt.
In Paris ist er mit zehn Werken in der Ausstellung Peintres instinctifs. Naissance de l’expressionnisme vertreten.
Die Sullivan Gallery und die Valentine Gallery, die auch Piet Mondrian vertritt, veranstalten Einzelausstellungen mit Soutines Werken in New York.
1937
Im Künstlertreff Café du Dome in Montparnasse lernt Soutine die deutsch-jüdische Exilantin Gerda Groth (geb. Michaelis) kennen. Sie nimmt ihn bei sich auf und er nennt sie «Mademoiselle Garde». Gemeinsam ziehen sie in die Villa Seurat im 14. Arondissement.
In London zeigt die Leicester Gallery eine Retrospektive zu Soutine. In der Ausstellung Les Maîtres de l’art indépendant im Petit Palais in Paris werden zwölf Werke von Soutine gezeigt.
Starke Magenschmerzen hindern ihn zunehmend an der Arbeit.
1939
Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, lebt Soutine mit Gerda Groth im Dorf Civry in der Region Bourgogne-Franche-Comté. Sie sind beide als Flüchtlinge registriert und dürfen die Stadt nicht verlassen. Dank einer medizinischen Ausnahmegenehmigung kann Soutine nach Paris reisen.
1940
Im Sommer besetzen deutsche Truppen Paris. Antijüdische Einschränkungen und gewalttätige Übergriffe werden immer häufiger. Im Mai wird Gerda Groth von der deutschen Armee in das Internierungslager Gurs in den Pyrenäen deportiert, wo sie drei Monate festgehalten wird. Soutine sieht sie nie wieder.
In Paris trifft Soutine seine zukünftige Partnerin, die Malerin und frühere Ehefrau von Max Ernst, Marie-Berthe Aurenche (1905–1960).
1941
Soutine hält sich illegal in Paris auf, traut sich aber nicht, die Hauptstadt zu verlassen. Er befürchtet, die für seine Diät notwendige Milch in der freien Zone nicht zu erhalten. Er ist gezwungen, den Davidstern zu tragen.
Soutine und Aurenche gelingt es, an gefälschte Papiere zu kommen und sie finden Zuflucht in Champigny in der Nähe von Chinon in der Region Centre-Val de Loire.
1943
Soutines gesundheitlicher Zustand verschlechtert sich drastisch. Nach einer riskanten dreitägigen Reise wird er in ein Spital in Paris überführt und aufgrund eines perforierten Magengeschwürs notoperiert, stirbt jedoch zwei Tage später am 9. August.
Seine Künstlerkollegen Pablo Picasso (1881–1973) und Jean Cocteau (1889–1963) sowie der Dichter Max Jacob (1876–1944) nehmen an Soutines Beerdigung am 11. August auf dem Montparnasse-Friedhof teil.
Film
Begleitprogramm
Veranstaltungen
Soutines letzte Fahrt
Ralph Dutli liest aus seinem Roman – über Soutines Kindheit, Krankheit und Kunst, über die Wunden des Exils in Paris, die Ohnmacht des Buchstabens und die überwältigende Macht der Bilder. Moderation: Tuğba Ayaz.
Sonntag, 20. Oktober 2024, 11:00
Sprache der Seele
Durch das Wechselspiel von Klezmer und ausgewählten Texten nähern wir uns Soutines Innen- und Bildwelt. Mit Michaela Wendt (Sprecherin) und Fred Singer (Klarinette).
Dienstag, 12. November 2024, 18:00
- Mit Unterstützung von Susanne und Franz Portmann
Gespräche in der Ausstellung
Kunst und Religion im Dialog
Gaby Knoch-Mund (Jüdische Gemeinde Bern / Haus der Religionen) im Dialog mit Magdalena Schindler (Leiterin Kunstvermittlung)
Sonntag, 8. September 2024, 15:00
Röntgenblick
Kunsttechnologische Aspekte von Soutines Malerei. Mit Nathalie Bäschlin (Leiterin Konservierung und Restaurierung)
Dienstag, 17. September 2024, 18:30
Woher kommen unsere Werke?
Einblicke in die Provenienzforschung am Beispiel von Soutine-Gemälden aus dem Legat des Kunsthändlers Georges F. Keller. Mit Carla Gehler (Provenienzforscherin)
Dienstag, 26. November 2024, 18:30
Führungen
Öffentliche Führungen
Sonntag, 11:00: 18.8. / 25.8. / 1.9. / 15.9. / 6.10./ 13.10. / 27.10. / 3.11. / 17.11. / 1.12.2024
Dienstag, 18:30: 24.9.2024
mit der Kuratorin
Ausstellungsrundgang mit der Kuratorin Anne-Christine Strobel
Dienstag, 18:30: 3.9.2024
Visites guidées en français
Dimanche 11h30 : 8.9.2024
Mardi 18h30 : 22.10.2024
Public guided tour in English
Sunday, 11:30: 10.11.2024
Einführung für Lehrpersonen
Dienstag, 18:00: 20.8.2024
Workshops
Aktuell inspiriert
Im Workshop für Jugendliche und Erwachsene setzen wir uns gestalterisch mit Chaïm Soutines ausdrucksstarker Malweise und Farbgebung auseinander.
Dienstag, 29. Oktober 2024, 18:00
Sonntag, 24. November 2024, 14:00
s’aMUSÉE!
atelier bilingue / zweisprachiger Workshop
Que tu parles français ou allemand, nous nous réjouissons de te rencontrer !
Im zweisprachigen Workshop entdecken Kinder und Jugendliche (ab 6 bis 14 Jahre) Chaïm Soutine und seine Bildwelt, sowohl mit Worten als auch gestalterisch im Atelier.
Samedi / Samstag, 7 septembre / 7. September 2024, 14:30
Artur Kunst-Tour
Gestalterischer Workshop für Kinder (ab 6 bis 14 Jahre)
Samstag, 14. September 2024, 10:15
Impressum
Chaïm Soutine. Gegen den Strom
Kunstmuseum Bern
16.8.–1.12.2024
Kuratorin: Anne-Christine Strobel
Eine Ausstellung des Kunstmuseum Bern in Kooperation mit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf und dem Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk
Ausstellungskatalog: Chaïm Soutine. Gegen den Strom, hrsg. von Susanne Gaensheimer und Susanne Meyer-Büser, Hatje Cantz, Berlin 2023. Mit Beiträgen von Claire Bernardi, Marta Dziewańska, Susanne Meyer-Büser, Sophie Krebs, Pascale Samuel und Catherine Frèrejean
Audioguide:
Texte: Susanne Meyer-Büser, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Sprecher Deutsch & Einfache Sprache: André Kaczmarczyk
Umsetzung: tonwelt GmbH
Digital Guide:
Umsetzung: NETNODE AG
Projektleitung: Martin Stadelmann, Cédric Zubler
Mit der Unterstützung von:
Medienpartnerin:
Kunstmuseum Bern
Hodlerstrasse 8–12, 3011 Bern
+41 31 328 09 44
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kunstmuseumbern.ch/ChaimSoutine