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Adolf Wölfli (1864–1930)

Adolf Wölfli mit Béret, um 1920

Einleitung

Adolf Wölfli gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Art brut. Mit 35 Jahren begann er in der psychiatrischen Klinik Waldau bei Bern mit Zeichnen, Schreiben und Komponieren. Seit 1975 wird sein umfangreicher Nachlass durch die Adolf Wölfli-Stiftung verwaltet, wissenschaftlich bearbeitet und in Publikationen und Ausstellungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Stiftung ist seit ihrer Gründung im Kunstmuseum Bern beheimatet. In diesem Raum stellt sie in wechselnden Präsentationen unterschiedliche Aspekte von Wölflis Schaffen vor. 

Aktuelle Ausstellung: Adolf Wölfli – Zeichnungen aus dem Frühwerk (1904–1907)

Adolf Wölfli bezeichnete sich einmal als «Pappier-Arbeiter, allerersten Ranges», verstand seine Schriften als «Werth-Schriften», die ihm Bleistifte, Papier und Tabak einbrachten. Durch sein Hauptwerk, eine umfassende Autobiografie, erfand er sich auf dem Papier ein eigenes Universum: die Skt. Adolf=Riesen=Schöpfung, die sich in insgesamt 45 grossformatigen Heften sowie 16 Schulheften auf insgesamt 25'000 Seiten ausbreitet. Diesem Kernbestand seines Schaffens geht mit dem sogenannten Frühwerk eine Gruppe von Zeichnungen voran, welche als Einzelblätter bereits die Dynamik, die Komplexität und das künstlerische Potenzial Wölflis deutlich machen. In diesen Arbeiten ist der Kinästhetiker zu spüren, wie ihn der Psychiater Walter Morgenthaler in seiner bahnbrechenden Schrift Adolf Wölfli, Ein Geisteskranker als Künstler 1921 beschreibt: «Er denkt mit dem Stift […] und die Gedanken kommen ihm oft erst durch die Bewegung». Hier schwingt die nicht zu bändigende Energie mit, die das Schaffen des Künstlers überhaupt auszeichnet.

Adolf Wölfli gehört heute zu den vielbeachteten Künstlern des 20. Jahrhunderts und sein Werk wird weltweit ausgestellt. Aufgewachsen ist er jedoch in grosser Armut als jüngstes Kind eines Steinhauers und einer Wäscherin. Nach einer harten Jugend als Verdingbub und Delinquent wird er 1895 als geisteskrank, unzurechnungsfähig und gemeingefährlich in die psychiatrische Heilanstalt Waldau eingeliefert und dort bis zu seinem Lebensende verwahrt. In den ersten Jahren gilt er als schwieriger Insasse, die Krankenakte berichtet von Wutausbrüchen, Gewalt gegen andere Patienten und die Wärter. Dies ändert sich erst, als er 1899 zu zeichnen beginnt und diese Praxis bis zu seinem Tod im Jahr 1930 unaufhaltsam fortführt. Erst in der Waldau wird er zum Zeichner, Schriftsteller und Komponisten, als den wir ihn heute schätzen.

Aus den ersten fünf Jahren sind leider keine Zeichnungen erhalten geblieben. Die Blätter wurden von ihm selbst oder anderen Insassen zerrissen. Die ersten erhaltenen Zeichnungen stammen aus dem Jahr 1904, und überraschenderweise ist darin bereits enthalten, was Wölfli von anderen zeichnenden Patienten fundamental unterscheidet. «Es ist das die Art, wie er automatisch die Blätter ausfüllt, wie er sie einteilt und die Einzelheiten wieder zu einem Ganzen zusammenfasst, wie er jede Form und Farbe an den rechten Platz hinsetzt, so dass etwas abgeschlossenes Harmonisches entsteht», lesen wir bei Morgenthaler weiter.

So zeigen die Zeichnungen der aktuellen Präsentation im Kunstmuseum Bern bereits jene Elemente, die Wölflis Kunst insgesamt auszeichnen: eine reiche, dichte Ornamentik sowie darin eingebettete szenische Darstellungen und Textbänder, die die Zeichnung überlagern, durchweben und erklären. Diese Blätter bilden innerhalb des Gesamtwerks eine in sich geschlossene Werkgruppe und überzeugen durch ihre überragende zeichnerische Qualität. 

Hilar Stadler, Kurator der Adolf Wölfli-Stiftung

Biografie

1864 im Emmental geboren, wächst Adolf Wölfli in sehr ärmlichen Verhältnissen an verschiedenen Orten auf. Um 1870 verlässt der Vater die Familie. Wölfli und seine Mutter verarmen und werden in die Heimatgemeinde Schangnau zwangsumgesiedelt. 1874 stirbt Wölflis Mutter und ihr Sohn wächst unter entwürdigenden Lebensbedingungen als Verdingbub bei verschiedenen Bauernfamilien im Emmental auf. Von 1880 bis 1890 lebt Wölfli als Lohn- und Wanderarbeiter an verschiedenen Orten. 1890 wird er wegen versuchter Notzucht zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Aus der Haft entlassen, vereinsamt er immer mehr. Wölfli wird 1895 zur Untersuchung seiner Zurechnungsfähigkeit in die psychiatrische Heilanstalt Waldau bei Bern eingeliefert. Die Diagnose lautet «Dementia paranoides» (Schizophrenie).

Auf Geheiss der Ärzte verfasst Wölfli bei seinem Eintritt in die Waldau 1895 seine erste Lebensgeschichte. 1899 beginnt er mit Zeichnen. Die ersten erhaltenen Zeichnungen sind von 1904 und 1905. Von 1908 bis 1912 schreibt er seine fiktive Autobiografie Von der Wiege bis zum Graab (3000 Seiten). Zwischen 1912 und 1916 entstehen die Geographischen und Allgebräischen Hefte (3000 Seiten). Wölfli schildert darin die Entstehung der zukünftigen Skt.Adolf=Riesen=Schöpfung. Ab 1916 entstehen Serien von Zeichnungen, die Wölfli an Ärzte, Angestellte, Besuchende und erste Sammler:innen verschenkt oder verkauft. Von 1917 bis 1922 erfolgt die Niederschrift der Hefte mit Liedern und Tänzen (rund 7000 Seiten), mit denen Wölfli seine zukünftige Schöpfung besingt und zelebriert. 1921 veröffentlicht Walter Morgenthaler Adolf Wölfli, Ein Geisteskranker als Künstler. Die Studie wird u. a. von Rainer Maria Rilke und Lou Andreas-Salomé begeistert gelesen. Von 1924 bis 1928 arbeitet Wölfli an den Allbumm-Heften mit Tänzen und Märschen (5000 Seiten), in denen er seine kommende Welt weiter besingt. Von 1928 bis 1930 arbeitet er am (unvollendeten) Trauer=Marsch. Am 30. November 1930 stirbt Wölfli an Magenkrebs.

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