Einleitung Erdgeschoss
Im Erdgeschoss bilden Werke von El Anatsui und Kader Attia als Vertreter der globalen Gegenwartskunst den Auftakt. Ein benachbarter Raum beherbergt mit Paul Cézanne, Claude Monet und Vincent van Gogh die ganz grossen Namen der internationalen Kunstgeschichte. Landschaften von Schweizer Exponenten der Moderne wie Félix Vallotton und Giovanni Giacometti runden die Ausstellung ab. Ein Seitenkabinett ist dem Legat von Eberhard W. Kornfeld (1923–2023) gewidmet. Dort werden die fünf hochkarätigen Gemälde präsentiert, die der berühmte Kunsthändler, Sammler und prägende Vermittler dem Kunstmuseum Bern in einer ausserordentlich grosszügigen Geste hinterlassen hat.
Legat Eberhard W. Kornfeld (Kabinett Erdgeschoss)
Der Schweizer Kunsthändler, Sammler und Mäzen Eberhard W. Kornfeld ist im April 2023, wenige Monate vor seinem 100. Geburtstag, verstorben. Das Kunstmuseum Bern, mit dem ihn eine besondere Beziehung verband, bedachte er mit einem Legat von fünf herausragenden Gemälden. Diese können nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Der gebürtige Basler Eberhard W. Kornfeld begann seine Karriere 1945 in der Berner Kunsthandlung August Klipstein. Nach dem überraschenden Tod Klipsteins 1951 übernahm er sukzessive die Leitung und führte die Firma schliesslich ab 1972 unter dem Namen Galerie Kornfeld zu einem der international bedeutendsten Auktionshäuser.
Kornfeld war für sein scharfsinniges Urteilsvermögen, seine Expertise und Eloquenz bekannt, ebenso wie für seinen hohen wissenschaftlichen Anspruch bei der Herausgabe von Auktionskatalogen oder Werkverzeichnissen. Zu seinen Freunden und wichtigsten Künstlern der Galerie zählten Marc Chagall, Pablo Picasso, Alberto Giacometti und Sam Francis. Diese Beziehungen sowie die Verehrung von Ernst Ludwig Kirchners Werk fanden ihren Niederschlag in seiner Sammeltätigkeit.
Während seiner langen Wirkungszeit in Bern unterstützte Kornfeld das Kunstmuseum Bern und das Zentrum Paul Klee stets grosszügig mit Leihgaben, vermittelnden Kontakten und durch Einblicke in die Archive seiner Galerie. Als grosszügiger Gönner beschenkte er das Haus unter anderem mit grafischen Arbeiten von Maurice de Vlaminck und Alfred Kubin sowie – gemeinsam mit Marlies Kornfeld – mit einem monumentalen Mobile von Alexander Calder.
Von den fünf Gemälden, die Kornfeld dem Museum vererbte, repräsentiert jedes eine seiner besonderen Künstlerbeziehungen oder eines seiner Forschungsfelder. Mit Bedacht ausgewählt, schliesst gleichzeitig jedes der Werke eine Lücke im Sammlungsbestand des Hauses. Damit bleibt das Kunstmuseum Bern auch künftig mit dem ausserordentlichen Kunstkenner, grosszügigen Förderer und geschätzten Freund verbunden – in tiefem Dank.
Einleitung Untergeschoss
Im Untergeschoss des Altbaus sind mit Kubismus, Expressionismus, Surrealismus und abstrakter Kunst die zentralen avantgardistischen Strömungen der Moderne vertreten. Höhepunkte sind etwa Pablo Picassos Geige, an der Wand hängend, Meret Oppenheims Unter der Regen-Wolke oder Piet Mondrians Tableau no II. Ergänzt wird die Präsentation durch eine Auswahl von Werken des Berner Künstlers Adolf Wölfli aus dem Bestand der Adolf Wölfli-Stiftung.
Adolf Wölfli-Raum (Untergeschoss)
Sonne, Mond und Sterne. Doufi und die «Riesen=Reise=Avantgaarde» vermessen das Weltall
Adolf Wölfli (1864–1930) gehört heute zu den vielbeachteten Künstler:innen des 20. Jahrhunderts und sein Werk wird weltweit ausgestellt. Diese internationale Karriere eines Waisenknaben, Verdingkindes, Zuchthausinsassen und Patienten einer psychiatrischen Heilanstalt ist nicht selbstverständlich. Sie ist das Resultat eines in jeder Hinsicht aussergewöhnlichen künstlerischen Werks.
Wölfli war Schriftsteller, Komponist und Zeichner im Dienst einer selbst gewählten «Mission»: das Leben neu zu erfinden und sich eine eigene Welt zu konstruieren. Er erschuf sich in seinen Schriften auf über 25’000 Seiten ein eigenes Universum, eine radikal neue Welt, die gleichzeitig als eine mehrfache Spiegelung der bestehenden Aussenwelt zu verstehen ist. In dieser erfundenen Welt tritt das Alter Ego des Autors auch unter dem Namen «Doufi» auf, der sich vom Vornamen Wölflis ableitet. Bezieht er sich zu Beginn seiner umfassenden Erzählung noch auf die verschiedenen Weltgegenden, ist ihm der Globus schon bald zu eng.
Zusammen mit der «Riesen=Reise=Avantgaarde» bricht Wölfli ins Weltall auf, um den gesamten Kosmos zu vermessen. Hier ruft er, wie in den Geographischen und Allgebräischen Heften nachzulesen ist, die Skt.Adolf=Riesen=Schöpfung aus, die ihm eine glorreiche Zukunft bescheren soll. Aus Sicht von Wölfli ist der Entwurf einer eigenen Schöpfung dem Weltall zugeordnet. Denn nur hier sind der Expansion bis hin zur Utopie keine Grenzen gesetzt.
So weitet sich Wölflis Imagination auf die Darstellung des Weltalls aus, das er in seinen Schriften und Zeichnungen festhält und verbildlicht. Bereits der Sterngucker in den frühen Schriften schaut durchs Fernrohr auf die Gestirne und eröffnet den Blick ins Weltall. Wölfli beschäftigt sich in der Folge mit der Reise in den Kosmos, die er als Passagier an Bord des «Riesen=Reise=Transparantts» oder des «Blitz=Schlangen=Reise oder Transport=Korbes» unternimmt. Er steigt gleichsam in die allerhöchste «Altitude» auf und thematisiert den Übergang von einer Sphäre in die andere. Er beschreibt danach die Verhältnisse auf den Sternen und Galaxien, die er auf seinen rasanten Fahrten durchs Weltall besucht und abbildet.
Wölflis Imagination geht also weit über unsere Vorstellungswelten hinaus und sie greift aus in den «Aeäther=Raum», den seine Reisekollegen zusammen mit ihm von «Stärn zu Stärn, bereisten, durchjagten, und, durchforschten und, aus inspitziertten, bis riesenhaft weit, in die gräntzenlohse, Ewigkeit hinaus». Und so reihen sich seine Kopfreisen ein in Weltenentwürfe anderer grosser Schöpfer wie etwa Jules Verne, denen auch die Welt schliesslich zu klein war. Jedoch ist Wölflis Ziel nicht die glaubhafte Abbildung einer vorgestellten Wirklichkeit (wie wir sie bei Jules Verne zu finden glauben), sondern die Erschaffung einer eigenen Realität, einer individuellen Mythologie.
Biografie
1864 im Emmental geboren, wächst Adolf Wölfli in sehr ärmlichen Verhältnissen an verschiedenen Orten auf. Um 1870 verlässt der Vater die Familie. Wölfli und seine Mutter verarmen und werden in die Heimatgemeinde Schangnau zwangsumgesiedelt. 1874 stirbt Wölflis Mutter und ihr Sohn wächst unter entwürdigenden Lebensbedingungen als Verdingbub bei verschiedenen Bauernfamilien im Emmental auf. Von 1880 bis 1890 lebt Wölfli als Lohn- und Wanderarbeiter an verschiedenen Orten. 1890 wird er wegen versuchter Notzucht zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Aus der Haft entlassen, vereinsamt er immer mehr. Wölfli wird 1895 zur Untersuchung seiner Zurechnungsfähigkeit in die psychiatrische Heilanstalt Waldau bei Bern eingeliefert. Die Diagnose lautet «Dementia paranoides» (Schizophrenie).
Auf Geheiss der Ärzte verfasst Wölfli bei seinem Eintritt in die Waldau 1895 seine erste Lebensgeschichte. 1899 beginnt er mit Zeichnen. Die ersten erhaltenen Zeichnungen sind von 1904 und 1905. Von 1908 bis 1912 schreibt er seine fiktive Autobiografie Von der Wiege bis zum Graab (3’000 Seiten). Zwischen 1912 und 1916 entstehen die Geographischen und Allgebräischen Hefte (3’000 Seiten). Wölfli schildert darin die Entstehung der zukünftigen Skt.Adolf=Riesen=Schöpfung. Ab 1916 entstehen Serien von Zeichnungen, die Wölfli an Ärzte, Angestellte, Besuchende und erste Sammler:innen verschenkt oder verkauft. Von 1917 bis 1922 erfolgt die Niederschrift der Hefte mit Liedern und Tänzen (rund 7’000 Seiten), mit denen Wölfli seine zukünftige Schöpfung besingt und zelebriert. 1921 veröffentlicht Walter Morgenthaler Ein Geisteskranker als Künstler. Die Studie wird u. a. von Rainer Maria Rilke und Lou Andreas-Salomé begeistert gelesen. Von 1924 bis 1928 arbeitet Wölfli an den Allbumm-Heften mit Tänzen und Märschen (5’000 Seiten), in denen er seine kommende Welt weiter besingt. Von 1928 bis 1930 arbeitet er am (unvollendeten) Trauer=Marsch. Am 30. November 1930 stirbt Wölfli an Magenkrebs.
Kurator: Hilar Stadler, Adolf Wölfli-Stiftung
Kunstwerk finden
Begleitprogramm
Öffentliche Führungen
Sonntag, 11:00: 28.7.2024
Impressum
Die Sammlung
Kunstmuseum Bern
Kuratorinnen: Nadine Franci, Anne-Christine Strobel, Nina Zimmer
Digital Guide:
Umsetzung: NETNODE AG
Projektleitung: Martin Stadelmann, Cédric Zubler
Mit der Unterstützung von:
KUNSTMUSEUM BERN
Hodlerstrasse 8–12, CH-3011 Bern
T +41 (0)31 328 09 44
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