II. Verborgene Wirklichkeit
Als Gegenreaktion auf das im ausgehenden 19. Jahrhundert vorherrschende rationalistische Weltbild und die Vormachtstellung der Naturwissenschaften entwickelte sich eine Geisteshaltung, welche die sichtbare Realität und die Macht der Vernunft hinterfragte. Auf der Suche nach tieferen Wahrheiten fand eine Hinwendung zum Übersinnlichen und Geheimnisvollen statt.
In der Kunst bedeutete dies die Abkehr von Realismus und Naturalismus, die sich der naturgetreuen Darstellung der Wirklichkeit verschrieben und auf jegliche Stilisierung verzichtet hatten. Stattdessen wuchs das Interesse für das «Andere»: für das Unbewusste, Unheimliche und Triebhafte, für Traum und Hypnose, Krankheiten von Leib und Seele, Spiritualität und Esoterik, Mythen und Legenden. Aus der Auseinandersetzung mit diesen Themen schöpften Künstler:innen Gegenbilder zur erfahrbaren Wirklichkeit, deren vielgestaltige Stil- und Ausdrucksformen unter dem Begriff «Symbolismus» zusammengefasst werden.
Vielen Werken ist ein symbolhafter Charakter zu eigen: Über den dargestellten Inhalt hinaus zielen sie auf eine höhere Bedeutung, etwa in Form allegorischer Figuren. So stellt Ernest Biéler den Herbst in Les feuilles mortes durch stilisierte Frauengestalten dar. Arnold Böcklins von Mischwesen bevölkerte, unheilvoll wirkende Szenerien können als Sinnbilder für Krieg oder Geschlechterkampf gelesen werden. Ferdinand Hodler hingegen verzichtete auf mythologische Bezüge und schuf Figuren, die durch Haltung und Wiederholung über sich selbst hinausweisen und zu überzeitlichen Sinnbildern der Vergänglichkeit und des Todes werden.