Digital Guide

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Einleitung

In der Sammlung des Kunstmuseum Bern bildet die Schweizer Kunst einen bedeutenden Schwerpunkt. Die aktuelle Präsentation nimmt ausgewählte Aspekte in den Blick, die charakteristisch für das künstlerische Schaffen in der Schweiz im 19. und frühen 20. Jahrhundert sind und gleichzeitig wichtige Werkgruppen des Gemäldebestands repräsentieren.

Der Rundgang beginnt mit symbolistischen Werken, in denen Künstler:innen über die realistische Darstellung hinaus tiefere, verborgene Sehnsüchte, Wahrheiten und Gefühle zu offenbaren suchten. Den Auftakt bildet in der Treppenhalle das Kapitel Zwiegespräch mit der Natur, welches die Sehnsucht nach der spirituellen Verbundenheit von Mensch und Natur thematisiert. Im ersten Saal folgt in Verborgene Wirklichkeit der düstere Kontrapunkt mit allegorischen, mythologischen und melancholischen Bildfindungen. Daran schliessen in Endlichkeit des Seins Werke von Albert Anker bis Annie Stebler-Hopf an, welche die Themen Vergänglichkeit und Tod in realistischen Bildern schildern.

Das Kapitel Ode an die Alpen ist der Darstellungstradition der Schweizer Berglandschaft gewidmet, während im anschliessenden Raum unter dem Titel Besonnene Kraft Werke zusammengestellt sind, welche die Landbevölkerung und ihre Arbeit ins Bild setzen. Das Kabinett Expressive Welten versammelt Werke von Ernst Ludwig Kirchner und den Schweizer Expressionisten der Gruppe Rot-Blau. Mit Bürgerliche Musse endet der Rundgang mit Aspekten des städtischen Freizeitvergnügens von Cuno Amiet bis Louis Moilliet. 

I. Zwiegespräch mit der Natur

Figuren inmitten der Landschaft, gefühlsvolle Gesten, tänzerische Bewegungen, entrückte Gesichter: Auf diese Weise brachten Schweizer Kunstschaffende Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre Vision der spirituellen Verbundenheit von Mensch und Natur zur Darstellung. Die Figuren befinden sich im Zwiegespräch mit der Natur, wie es ein Werktitel von Ferdinand Hodler ausdrückt. Ihre Körper werden zu Trägern von seelischen Empfindungen und ihre Nacktheit unterstreicht das Einsseins mit dem Kosmos.

Diese Wunschvorstellung ist charakteristisch für den Zeitgeist der Jahrhundertwende. Vor dem Hintergrund von Industrialisierung, Verstädterung und der Technisierung aller Lebensbereiche empfanden und kritisierten viele die Entfremdung des Menschen von der Natur und damit von sich selbst. Unter dem Stichwort Lebensreform strebten in Deutschland und der Schweiz verschiedene soziale Reformbewegungen nach einer «naturgemässen Lebensweise», die den Einklang von Körper, Geist und Seele wiederherstellen sollte.

Auch im künstlerischen Schaffen fand die Denkweise des Fin-de-siècle ihren Widerhall. Künstler:innen reagierten mit verschieden gearteten Gegenentwürfen auf die moderne Welt. Einer davon ist der gleichsam paradiesische Zustand des in glücklicher Harmonie mit der Natur existierenden Menschen, wie er in den Darstellungen von Giovanni Giacometti bis Victor Surbek geschildert wird.

II. Verborgene Wirklichkeit

Als Gegenreaktion auf das im ausgehenden 19. Jahrhundert vorherrschende rationalistische Weltbild und die Vormachtstellung der Naturwissenschaften entwickelte sich eine Geisteshaltung, welche die sichtbare Realität und die Macht der Vernunft hinterfragte. Auf der Suche nach tieferen Wahrheiten fand eine Hinwendung zum Übersinnlichen und Geheimnisvollen statt.

In der Kunst bedeutete dies die Abkehr von Realismus und Naturalismus, die sich der naturgetreuen Darstellung der Wirklichkeit verschrieben und auf jegliche Stilisierung verzichtet hatten. Stattdessen wuchs das Interesse für das «Andere»: für das Unbewusste, Unheimliche und Triebhafte, für Traum und Hypnose, Krankheiten von Leib und Seele, Spiritualität und Esoterik, Mythen und Legenden. Aus der Auseinandersetzung mit diesen Themen schöpften Künstler:innen Gegenbilder zur erfahrbaren Wirklichkeit, deren vielgestaltige Stil- und Ausdrucksformen unter dem Begriff «Symbolismus» zusammengefasst werden.

Vielen Werken ist ein symbolhafter Charakter zu eigen: Über den dargestellten Inhalt hinaus zielen sie auf eine höhere Bedeutung, etwa in Form allegorischer Figuren. So stellt Ernest Biéler den Herbst in Les feuilles mortes durch stilisierte Frauengestalten dar. Arnold Böcklins von Mischwesen bevölkerte, unheilvoll wirkende Szenerien können als Sinnbilder für Krieg oder Geschlechterkampf gelesen werden. Ferdinand Hodler hingegen verzichtete auf mythologische Bezüge und schuf Figuren, die durch Haltung und Wiederholung über sich selbst hinausweisen und zu überzeitlichen Sinnbildern der Vergänglichkeit und des Todes werden.

III. Endlichkeit des Seins

Mit der Endlichkeit des Seins setzten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch eine Vielzahl von Vertreter:innen des Realismus auseinander. Häufig wird der Tod als Teil der alltäglichen Lebenswirklichkeit dargestellt, wie in Albert Ankers Die kleine Freundin oder Max Buris Nach dem Begräbnis.

Nach wie vor beliebt war das religiöse Genre, beispielsweise die Darstellung von in Andacht vertieften Gläubigen, wie sie Ferdinand Hodler in seinem Gemälde Gebet im Kanton Bern festhielt. In diesem Frühwerk verankert der Künstler die Figuren durch die lebensnahe Schilderung und den porträthaften Charakter im Hier und Jetzt. In derselben Manier behandelt der Porträtist Karl Stauffer-Bern den Gekreuzigten, der dadurch von einer Heilsfigur zu einem lebensechten Zeitgenossen wird.

Ein neuartiges Motiv repräsentiert das Gemälde Am Seziertisch (Professor Poirier, Paris) von Annie Stebler-Hopf. Einen überaus nüchternen Aspekt der Thematik schildernd, ist es Ausdruck des zeittypischen Interesses für die Anatomie des menschlichen Körpers und die Errungenschaften und Methoden der Medizin. 

IV. Ode an die Alpen

Ein unübersehbares Charakteristikum der Schweiz und damit auch zentraler Gegenstand der Schweizer Kunst bildet die Alpenlandschaft. In das unwirtliche Hochgebirge wagten sich Künstler:innen erst im 18. Jahrhundert, im Zeitalter von Aufklärung und Romantik, um als Begleiter von Naturforschern präzise Wiedergaben von Gipfeln, Gletschern und Bergseen zu schaffen. Zu ihnen zählt Caspar Wolf, der heute als einer der Pioniere der Schweizer Landschaftsmalerei gilt.

Im Zuge der wissenschaftlichen Erschliessung und des aufkommenden Tourismus erfuhren die Alpen allmählich eine Umdeutung: sie wurden vom furchterregenden Hindernis zum Hort von Ursprünglichkeit, Eintracht und Demokratie. Diese Auffassung prägte die nationale Identität und befeuerte den Fremdenverkehr. Die Darstellung der Alpenwelt und ihrer Bevölkerung gewann in der Folge an Bedeutung und entwickelte sich zunehmend zu einem spezialisierten Zweig der Grafik und Landschaftsmalerei, der auch die Nachfrage nach Souvenirs bediente. Ins Zentrum der Schilderungen rücken wie in den Gemälden von Franz Niklaus König Genreszenen mit Hirten, Berghütten oder Wanderern, die den Alpenraum als idyllischen Rückzugsort stilisieren.

Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts setzten Künstler wie Gottfried Steffan oder Alexandre Calame hingegen auf eine heroisch-romantische Darstellung. Mit dramatischen Gewitterstimmungen und Lichteffekten feierten sie die Erhabenheit der Alpen. Im Fokus stehen die gewaltigen Naturkräfte, während der Mensch höchstens als unbedeutende Staffage in Erscheinung tritt. In der Moderne erfuhr die Alpenmalerei durch formal vereinfachende Herangehensweisen erneut eine Weiterentwicklung. Insbesondere Ferdinand Hodler gilt als Erneuerer des Genres.

V. Besonnene Kraft

Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrten sich in der Schweizer Kunstproduktion Darstellungen des Bauern- und Arbeitermilieus. Im Gegensatz zu vielen französischen und auch deutschen Kolleg:innen schufen die meisten Schweizer Künstler:innen weniger von Sozialkritik bestimmte Motive, welche die harten Lebens- und Arbeitsbedingungen einer bestimmten Schicht anprangern, sondern Schilderungen aus dem Umfeld, in dem sie selbst aufgewachsen waren oder nunmehr lebten. Es sind beschauliche Szenen, welche Bäuerinnen, Bauern oder Handwerker bei der Arbeit, der Rast und dem geselligen Zusammensein zeigen.

Die Landbevölkerung verkörperte einen naturverbundenen, bescheidenen und arbeitstüchtigen Lebensstil, der zu einem wichtigen Bestandteil der nationalen Identität erhoben wurde. In den Darstellungen und ihrer Rezeption schwingt daher oft eine patriotische Note mit, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem aufkommenden Nationalismus verstärkte.

Ein Beispiel dafür ist Ferdinand Hodlers Komposition Der Holzfäller, die er zusammen mit dem Mäher für eine Banknotenserie zum Thema «Arbeit in der Schweiz» entworfen hatte. Als Monumentalfigur ausgeführt, bezeichnete der Künstler den Holzfäller als «ein unvergleichliches Bild von leidenschaftlicher, aber zielbewusster und besonnener Kraft, dass man sich fast nicht satt an ihm sehen kann». Die ikonische Bildfindung erfreute sich schnell grosser Beliebtheit, wurde von Hodler in mehreren Versionen wiederholt und zählt noch heute zu seinen bekanntesten Werken.

VI. Expressive Welten

Mit der Schweizer Bergwelt und Landbevölkerung setzte sich auch der deutsche Expressionist Ernst Ludwig Kirchner auseinander, nachdem er sich 1917 in Davos niedergelassen hatte. Die Wahlheimat lieferte ihm neue künstlerische Inspirationen und Motive. Er schuf in Farbe und Form expressive Berglandschaften und beschrieb sich selbst als Erneuerer der Alpenmalerei in der Nachfolge von Ferdinand Hodler.

Von Kirchners Schaffen, das 1923 in einer Ausstellung in der Kunsthalle Basel präsentiert wurde, liess sich eine Reihe junger Basler Künstler inspirieren. Albert Müller, Hermann Scherer, Werner Neuhaus, Paul Camenisch und Otto Staiger suchten den Anschluss an den Expressionismus und gründeten in der Silvesternacht 1924/1925 die Gruppe Rot-Blau. Sie besuchten Kirchner in Davos und erhielten Anregung und Beratung.

Statt einer sachlichen Wiedergabe der sichtbaren Realität strebten die Künstler nach einer von subjektiven Erfahrungen und Gefühlen geprägten, unmittelbaren Ausdrucksform. In Anlehnung an den Stil der Künstlergruppe Brücke entwickelten sie eine Landschafts- und Figurenmalerei von roher Formgebung und heftig leuchtender Farbigkeit.

VII. Bürgerliche Musse

Nebst der Bergwelt und der arbeitenden Bevölkerung nahmen Schweizer Künstler:innen zu Beginn des 20. Jahrhunderts vermehrt die städtische Lebenswelt und mit ihr die Vergnügungen des Bürgertums in den Blick. Die öffentlichen Erholungsräume und Freizeitorte, die Schausteller:innen und ihr Publikum wurden zu bedeutenden Sujets in der Kunst der westlich geprägten Moderne.

Beliebte Motive boten Parkanlagen, die zur Erholung vom pulsierenden Stadtleben und gleichzeitig als Schauplatz für den gesellschaftlichen Auftritt dienten. So hielt etwa die in Paris lebende Martha Stettler Spaziergänger und spielende Kinder in atmosphärischen Freilichtszenen wie Le parc fest. Gleichzeitig gewann die Darstellung privater Innenräume, die der Pflege der häuslichen Musse und als Rückzugsort von der immer lauter werdenden Aussenwelt dienten, an Bedeutung.

Andere Künstler:innen schufen Porträts von Tänzerinnen oder Szenen in Konzerthäusern und Varietés und nahmen damit unterschiedliche Aspekte des kulturellen Freizeitangebots in den Blick. Louis Moilliet beispielsweise setzte sich in mehreren Gemälden mit der Zirkus- und Gauklerwelt auseinander, während Cuno Amiet zwei Grossformate aus den 1920er-Jahren Musizierenden widmete.

Begleitprogramm

Veranstaltungen

AlpSonntag
Wir holen das Alpenfeeling ins Museum und feiern den Sonntag mit Brunch, Kurzführungen, offenem Atelier und Musik. Mit einem vielseitigen Programm für alle Generationen im Rahmen der beiden Ausstellungen Panorama Schweiz und Kirchner x Kirchner.
Sonntag, 26. Oktober 2025, 10:00–17:00

Wochenende der Graphik
Am diesjährigen Wochenende der Graphik steht die Freundschaft in der Kunst im Fokus. In Sonderveranstaltungen tauchen Sie ein in die spannenden Beziehungen zwischen Künstlerpersönlichkeiten wie Kirchner, Ferdinand Hodler und Marguerite Frey-Surbek.
Sonntag, 9. November 2025, 10:30–15:45

Führungen Panorama Schweiz
«Wahlverwandtschaft? Landschaften von Kirchner, Hodler & Gabriel Lory, Vater & Sohn»
10:30–11:15 / 14:00–14:45

«Künstlerfreundschaften. Kirchner, Marguerite Frey-Surbek, Albert Müller»
11:30–12:00 / 15:15–15:45 

Führungen

Ausstellungsrundgang
Sonntag, 12:00: 17.8. / 12.10.2025
Sonntag, 11:00: 24.8. / 31.8.2025
Dienstag, 18:30: 23.9. / 4.11.2025

Visite de l'exposition
dimanche, 11:30 : 7.9.2025
mardi, 18:00 : 25.11.2025

Literarische Führungen 
Sonntag, 13:00: 16.11. / 14.12.2025 / 4.1.2026
mit Michaela Wendt

Einführung für Lehrpersonen 
Dienstag, 19. August 2025, 18:00

Workshops

Aktuell inspiriert
Gestalten für Erwachsene ab 16 Jahren
Dienstag, 2. September 2025, 18:00

Impressum

Panorama Schweiz. Von Caspar Wolf bis Ferdinand Hodler
Kunstmuseum Bern
15.8.2025–11.1.2026

Kuratorin: Anne-Christine Strobel
Wissenschaftliche Volontärin: Michelle Sacher

Ausstellungsgestaltung: Jeannine Moser

Audioguide
Texte: Kunstmuseum Bern
Umsetzung: tonwelt GmbH

Digital Guide
Umsetzung: NETNODE AG
Projektleitung: Andriu Deflorin, Cédric Zubler

Mit der Unterstützung von:
 

Kanton Bern


Kunstmuseum Bern
Hodlerstrasse 8–12, 3011 Bern
+41 31 328 09 44
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kunstmuseumbern.ch/panorama

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Grundriss

Audioguide

Arnold Böcklin, Frühlingstag
Félix Vallotton, La Lecture, 1906
Alexandre Calame, Le Grand Eiger, soleil levant (Le Matin, vue du Grand Eiger)
Ferdinand Hodler: Die Nacht
Caspar Wolf, Die Schwarze Lütschine, aus dem Unteren Grindelwaldgletscher entspringend, 1777
Louis-René Moilliet, Im Variété, 1913
Franz Niklaus König, Der Staubbach im Lauterbrunnental, 1804
Louise Elisabeth Vigée Le Brun: La Fête des bergers suisses à Unspunnen le 17 août 1808