Einleitung
Tracey Rose (geb. 1974, Durban, Südafrika) gehört zu den Hauptfiguren der südafrikanischen Gegenwartskunst, welche mit dem Ende der Apartheid anfangs der 1990er Jahre einsetzte. Die Künstlerin erregt bis heute mit radikalen Performances Aufsehen und kommentierte damals den politischen und sozialen Wandel Südafrikas von der Apartheid in die «Rainbow Nation», wie sie Nelson Mandela genannt hat. Der thematische Fokus im Werk von Tracey Rose bezieht sich nicht nur auf die Realität Südafrikas, sondern generell auf Erfahrungen von rassistischen, politischen oder sexistischen Diskriminierungen. Im Zentrum ihres künstlerischen Wirkens steht die Kraft der Performancekunst und des Körpers, der für Tracey Rose ein Ort des Protests, des Widerstands, der Heilung und des Diskurses ist.
Der Ausstellungstitel Shooting Down Babylon stammt von der gleichnamigen Installation, welche 2016 als Reaktion auf den Wahlsieg Donald Trumps entstand. Tracey Rose unterzog sich Reinigungsritualen, die sie filmte und in einer physisch eindringlichen Videoskulptur wiedergibt. Als Auftakt der Ausstellung verdeutlicht dieses Werk, wie verwurzelt Tracey Roses Schaffen im Körperlichen, in der Wut und in der Suche nach Spiritualität ist.
Die Ausstellung mit rund hundert Kunstwerken von 1990 bis 2021 umfasst die zentralen Medien und Anliegen, die in Roses Praxis dominieren. Die Künstlerin überführt das Performative in Film, Skulptur, Fotografie, Druckgraphik und Malerei, welche den Körper immer wieder ins Zentrum rücken und dabei auch das Publikum herausfordern. Für ihre subversiven Interventionen nutzt sie öffentliche Formen der Trauer und Anklage genauso wie satirisch überspitzte Aneignungen oder absurde, theatralische Inszenierungen.
Tracey Rose lamentiert, prangert an, persifliert und attackiert. Stets von neuem hinterfragt die Künstlerin festgesetzte kulturelle, geschlechtliche oder ethnische Identitäten. Sie produziert Risse in der Oberfläche und geht dabei so weit, selbst mythische und religiöse Ursprungserzählungen neu zu denken. Immer häufiger steht dabei die Frage nach der Heilung von traumatischen Erfahrungen, seien sie persönlicher oder gemeinschaftlicher Natur, im Vordergrund. Nach Meinung der Künstlerin ist das Christentum schlecht dafür gerüstet, bringt eine koloniale Vergangenheit mit sich und braucht es eine neue Art von Spiritualität, welche über die Vorstellungswelt monotheistischer Religionen hinausgeht und auch afrikanische Vorstellungen einbezieht.
Speziell für die aktuelle Ausstellung entstanden zehn neue Auftragsarbeiten, die Teil von Tracey Roses fortlaufender Serie der Mandela Balls sind. Basierend auf dem Gedicht Harlem (A Dream Deferred) von Langston Hughes, das über den Zustand nicht erfüllter Träume sinniert, baut die Künstlerin dem ehemaligen Freiheitskämpfer Nelson Mandela insgesamt 95 Denkmäler, was seiner Lebenszeit in Jahren entspricht. Mit jedem einzelnen, fragilen und zum Teil skurrilen Objekt fragt sie nach dem Vermächtnis, das von seinem hoffnungsvollen Aufbruch übrigbleibt.
Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Zeitz MOCAA in Kapstadt, wo sie von Februar bis August 2022 zu sehen war. Tracey Roses Videofilm T.K.O. (Technical Knockout) (2000) hingegen befindet sich seit 2001 in der Sammlung des Kunstmuseum Bern als Besitz der Stiftung Kunsthalle Bern.
Statement
Kurz vor der Eröffnung der Ausstellung Tracey Rose. Shooting Down Babylon wurde durch Medienrecherchen bekannt, dass die Künstlerin Tracey Rose im Jahr 2021 einen offenen Brief «A Letter against Apartheid» unterzeichnet hat. Dieser offene Brief wurde von mehreren Tausend Personen aus der Kunst- und Kulturwelt unterzeichnet und u.a. von der Kunstplattform e-flux veröffentlicht. (againstapartheid.com)
Dieser «Letter against Apartheid» stösst auf Kritik. So bewertete Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, diesen Brief kritisch: «Die Petition, die die Künstlerin unterstützt, hat tatsächlich Schlagseite, und das sehr stark. Das ist so keine Haltung, sondern Blindheit und reines politisches Framing», sagt er. In diesem Sinne werde auch Apartheid als Kampfbegriff verwendet. «Die Unterstützung dieser Aktion durch die Künstlerin macht klar, dass sie offenbar radikale und nicht konstruktive Positionen vertritt.»
Das Kunstmuseum Bern steht für eine offene, vielstimmige Auseinandersetzung mit Kunst und den Wertedialog mit der Gesellschaft. Tracey Rose ist eine wichtige zeitgenössische Künstlerin, ihr Schaffen der letzten dreissig Jahre thematisiert auf ausdrucksstarke Weise Diskriminierung, Rassismus und Sexismus.
Tracey Rose hat jüdische und muslimische Wurzeln. Sie verurteilt die grausamen Angriffe der Hamas auf Israel und die schweren Vergeltungsmassnahmen der israelischen Regierung, welche auch die unbewaffnete Zivilbevölkerung in Palästina treffen. Sie verurteilt alle Formen von Islamophobie, Rassismus und Antisemitismus und hat sich klar für einen Waffenstillstand zwischen Israel und Palästina ausgesprochen: «Ich glaube an das Existenzrecht des Staates Israel und des Staates Palästina.»
Wir als Museum stehen fest gegen alle Formen von Diskriminierung. Unsere Institution verpflichtet sich zu Gleichheit, Inklusivität und Respekt für die Würde jedes Einzelnen. Wir verurteilen jegliche Form von Terrorismus, Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Diskriminierung, Sexismus und Menschenfeindlichkeit.
Als öffentliches Schweizer Museum versteht sich das Kunstmuseum Bern / Das Zentrum Paul Klee als Plattform für eine offene und vielstimmige Auseinandersetzung mit Kunstwerken und den Wertedialog mit der Gesellschaft. Leitend ist dabei das Bestreben, drängende Themen unserer Gegenwart aus der Ressource unserer Sammlungen und in einem kuratorischen Rahmen einem breiten Publikum zur Diskussion zu stellen. Wir greifen gesellschaftliche Diskurse auf und schaffen Raum für die Diskussion auch kontroverser Positionen.
In einer Welt, die mit vielfältigen und weitreichenden Krisen konfrontiert ist, wird unser demokratisches Miteinander auf eine harte Probe gestellt. Es ist eine Zeit, in der die Stärke menschlicher Verbindungen, die Tiefe von Freundschaften und die Beständigkeit von Bündnissen mehr denn je gefordert werden. Diese Herausforderungen erinnern uns daran, wie eng unsere Schicksale miteinander verflochten sind und wie wichtig es ist, gemeinsam für die Aufrechterhaltung des Dialogs, von Stabilität, Frieden und Solidarität einzutreten.
Kunstmuseum Bern, 20.2.2024
Biografie
Tracey Rose, Courtesy Zeitz Museum of Contemporary Art Africa
Die südafrikanische Künstlerin Tracey Rose ist vor allem für ihre experimentelle, performative Praxis bekannt, die häufig in Form von Fotografie, Video, Installationen oder Digitaldrucken realisiert wird. In ihren oft als absurd, anarchisch und karnevalesk beschriebenen Arbeiten setzt sich Rose mit Themen wie Postkolonialität, Geschlecht und Sexualität, Rassismus und Herkunft auseinander. Ihre Arbeiten sind von ihren eigenen Erlebnissen und den politischen Debatten in ihrer Heimat, aber auch von den Institutionen und Ländern im Ausland, in denen sie arbeitet, inspiriert und motiviert.
Rose wurde 1974 in Durban, Südafrika, geboren. Im Jahr 1990 trat sie der Johannesburg Art Foundation bei, bevor sie 1996 an der University of the Witwatersrand in Johannesburg ihren Bachelor-Abschluss in Bildender Kunst erlangte. 2004 besuchte Rose die South African School of Motion Picture Medium and Live Performance und schloss 2007 ihren Master of Fine Arts am Goldsmiths College der University of London, UK, ab. Sie lebt und arbeitet in Johannesburg, Südafrika.
Rose hat zahlreiche Studienaufenthalte (Residencies) in verschiedenen Ländern absolviert, darunter: Wysing Arts Centre, Cambridgeshire, UK (2014); DAAD, Berlin, Deutschland (2012/13); Darb 1718, Kairo, Ägypten (2012); Cruzes, Montevideo, Uruguay (2011); Khoj International Artists Workshop Vasind, Indien (2005); Africa 2005 Residency, The London School of Hygiene and Tropical Medicine, London, UK, (2004).
Sie hat weltweit in zahlreichen bedeutenden Museen ausgestellt: Shooting Down Babylon, Zeitz MOCAA, Südafrika und Queens Museum, USA (2023); May You Live in Interesting Times, South African National Pavilion, 58th La Biennale di Venezia, Venedig, Italien (2016); False Flag, Art Parcours, Art Basel, Basel, Schweiz (2016); Toro Salvaje, Museum für Moderne Kunst, Buenos Aires, Argentinien (2016); Waiting for God, Johannesburg Art Gallery, Johannesburg, Südafrika und Bildmuseet, Umeå, Schweden (2011); Performa 17, New York, USA (2017); Documenta 14, Athen, Griechenland und Kassel, Deutschland (2017); Afro Modern: Journeys through the Black Atlantic, Tate Liverpool, Liverpool, UK (2010); Stedelijk Museum Amsterdam, Niederlande (2008); Africa Remix, The Haywood Gallery, London, UK und Centre Georges Pompidou, Paris, Frankreich (2005).
Begleitprogramm
Werke im Gespräch
mit café révolution
Einstündiger Rundgang und Austausch mit Besucher:innen und dem Berner Kollektiv café révolution. café révolution lädt ein, die rassistischen, sexistischen und kolonialen Strukturen, welche die Künstlerin in ihrem Werk anprangert, auf lokaler Ebene zu hinterfragen.
Sonntag, 12:00: 25.02.24
Sonntag, 11:00: 03.03.24 / 24.03.24 / 30.06.24
Dienstag, 19:00: 02.07.24
mit der Kuratorin
Einstündiger Rundgang und Austausch mit Besucher:innen und der Kuratorin Kathleen Bühler.
Dienstag, 19:00: 12.03.24 / 21.05.24
mit dem Team der Kunstvermittlung
Sonntag, 11:00: 07.04.24 / 28.04.24 / 12.05.24 / 02.06.24 / 16.06.24 / 14.07.24 / 04.08.24 / 11.08.24
Dienstag, 19:00: 26.03.24 / 16.04.24 / 25.06.24 / 23.07.24
im Rahmen der Museumsnacht
Kurzführungen durch die Ausstellung und gestalterisches Angebot im Atelier der Kunstvermittlung.
Freitag, 15. März 2024
Kunst und Religion im Dialog
Kathleen Bühler im Gespräch mit André Flury (Katholische Kirche Region Bern)
Sonntag, 24. März 2024, 15:00
Impressum
Tracey Rose. Shooting Down Babylon
Kunstmuseum Bern
23.02.–11.08.2024
Kuratorinnen: Koyo Kouoh (Direktorin und Chefkuratorin Zeitz MOCAA) und Tandazani Dhlakama (Kuratorin Zeitz MOCAA) in Zusammenarbeit mit Kathleen Bühler (Chefkuratorin Kunstmuseum Bern)
Kuratorische Assistentin: Nina Liechti
Ausstellungskatalog: Tracey Rose. Shooting Down Babylon, Hrsg. von Koyo Kouoh und The Zeitz Museum of Contemporary Art Africa (Zeitz MOCAA)
Digital Guide:
Umsetzung: NETNODE AG
Projektleitung: Martin Stadelmann, Cédric Zubler
Mit der Unterstützung von:
KUNSTMUSEUM BERN
Hodlerstrasse 12, CH-3011 Bern
T +41 (0)31 328 09 44
info@kunstmuseumbern.ch
kunstmuseumbern.ch/TraceyRose